ateatro 2.5 Im Museum der Moderne Peter Steins monumentaler Faust in Berlin, endlich mit Bruno Ganz di Thomas Irmer Dieser
„Faust" ist, man mag es kaum glauben, eine Uraufführung.
Genauer die erste Aufführung des vollständigen Textes beider
Teile von Goethes Werk durch ein Berufstheater. „Faust II"
wurde seit der ersten Gesamtaufführung 1876 in Weimar immer nur
in mehr oder weniger gekürzten Bearbeitungen gespielt. Das ist
paradox, gilt doch gerade dieses Doppelstück als eherner Bestand
deutscher Bühnenliteratur und außerdem als Goethes Vermächtnis.
Peter Steins „Faust" ist mit 22 Stunden Dauer, gespielt
an einem Wochenende als Marathon oder verteilt, als „Sushi",
auf die Abende einer ganzen Woche, vielleicht die aufwendigste
und längste Theateraufführung, auf jeden Fall aber die teuerste
Theaterproduktion, die es in Deutschland je gegeben hat. 30
Millionen DM hat sie gekostet, Stein hat eigens ein
Theaterensemble dafür gegründet und der heute 64jährige
Regisseur einige Jahre diesem Lebensplan geopfert. Mit Erfolg und
Gewinn fürs Publikum? Diese Frage kann man nicht mit Ja oder
Nein beantworten.
Viele Theaterinteressierte in Deutschland und erst recht im
Ausland verstehen nicht, warum es nach der Premiere im Juli 2000
auf der EXPO in Hannover in den deutschen Tageszeitungen hämische
Kritiken und Totalverrisse nur so hagelte. Das dürfte sich auch
nach Polen herumgesprochen haben, und deswegen fange ich mit
einigen Erklärungsversuchen dazu an, denn sie betreffen auch
schon das, was ich dann über die Aufführung selbst zu sagen
habe. Eine Produktion wie diese, auch wenn sie sich in ihrer
Machart vor der Außenwelt nahezu verschließt, kann nämlich
nicht ohne ihre Vorgeschichte und Entstehungsbedingungen bewertet
werden.
Peter Stein hat seit Anfang der neunziger Jahre immer wieder für
sein „Faust"-Projekt in der Öffentlichkeit geworben.
Mit Vehemenz, und diese Szene wurde berühmt, haute er vor der
Fernsehkamera mit der Faust auf den Tisch und rief: „Ich
will den Faust inszenieren, verdammt noch mal!" Das wäre
einfach nur lustig, steckte darin nicht auch die Wahrheit, dass
man in Deutschland wenigstens einen Anlass oder Antrieb erklären
sollte, warum man dieses oder jenes Stück und insbesondere den
„Faust" inszenieren will. Da hielt sich Stein jedoch
bedeckt. Der Hinweis auf die erste vollständige Aufführung
sollte genügen, allenfalls die hohe Schule der Sprechkultur für
die 12110 Verse wurde noch geltend gemacht. Die Berliner Schaubühne,
mit deren Name die künstlerische Karriere Steins untrennbar
verbunden ist und wo er zuletzt vor mehr als zehn Jahren „Roberto
Zucco" von Koltés inszenierte, stand für dieses Projekt
nicht zur Verfügung. Stein hätte es zur Bedingung gemacht, zwei
ganze Spielzeiten für seine Arbeit zu vereinnahmen, ein Jahr für
Proben und ein weiteres für die Aufführungen. Dies mochte die
Leitung der Schaubühne nicht akzeptieren. Also musste sich der
Regisseur seine eigene Theaterstruktur schaffen, und mit ihrer
Durchsetzung hat sich das Faustische dieser Idee bereits zu Tode
gesiegt. Zunächst war an eine große Halle in Berlin gedacht,
und für 20 Millionen Mark, von denen ein beträchtlicher Teil
aus der Berliner Kultursubvention fließen sollte, wollte der
Meister zur Tat schreiten. Die Politiker der Hauptstadt wägten
vorsichtig ab, denn ihre Entscheidung für Steins Mega-Faust wäre
angesichts der desolaten Finanzlage vieler Berliner Theater
kulturpolitisch genauso riskant gewesen wie die Schließung eines
Theaters aus Kostengründen - und genau das hatte mit der Schließung
des berühmten Schiller-Theaters 1993 einen Aufruhr hervorgerufen,
von dem sich die Berliner Politik bis heute nicht erholt hat.
Stein musste sich also nach anderen Helfern umsehen, echten
Sponsoren, die er in den inzwischen aufstrebenden
Kulturstiftungen der Großindustrie und bei der Deutschen Bank
fand. Sie stellten das Geld in Aussicht, sobald ein Ort gefunden
war, den ganzen „Faust" erst zu proben und schließlich
zur Aufführung zu bringen.
Hannover, das ist ein anderer wichtiger Punkt, wenn man die
Haltung der Kritik zu Stein psychologisch zu ergründen sucht.
Die EXPO, die 2000 zum ersten Mal in Deutschland stattfand, bot
sich an, Steins Projekt in ihr Kulturprogramm aufzunehmen. Der
Meister machte den Pakt mit dem, nun ja, nicht Teufel, aber
immerhin mit einer Institution, die in Deutschland wegen der in
vielen anderen Punkten beargwöhnten EXPO nicht im besten Ruf
stand und die er zuvor selbst verhöhnt hatte. Das Kulturprogramm
der EXPO sei nämlich nichts weiter als „Sackhüpfen und
Wurstschnappen", also billigster Jahrmarkt. Tatsächlich
wurde die EXPO eine gigantische Pleite und blieb weit unter den
Erwartungen des Publikums wie auch der Veranstalter. „Faust"
fand hier zwar das nötige Geld und auch eine vorläufige Bleibe,
aber dieser Kontext war doch insgesamt ungeeignet für eine Präsentation,
die auf ihre künstlerische Autonomie pocht und dort doch nur als
ein Teil des Ausstellungsparks wirken konnte. Als der „Faust"
Ende Juli 2000 seine Premiere in Hannover hatte, war bereits
abzusehen, dass die EXPO kein Erfolg mehr werden würde. Überdies
hatte Bruno Ganz, der Darsteller des Faust, sich bei einem Unfall
auf der Probe schwer verletzt, und es ging nur darum, das EXPO-Projekt
„Faust" um jeden Preis zu retten. Der junge Christian
Nickel, Darsteller des jungen Faust, sprang für die ganze Rolle
ein - und war sichtlich überfordert. In einem Theater hätte man
die Premiere wahrscheinlich verschoben, auf der Weltausstellung
war sie nicht mehr abzusagen. Eine Produktion, deren finanzieller
Aufwand dem eines mittleren Filmbudgets entspricht, ist so
beweglich wie ein Dinosaurier. Aufrecht stehen bleiben, wenn der
Boden schwankt, ist alles, was dann noch zu erreichen ist.
Um den Faust II habe ich das ganze Leben gerungen. Als 16jähriger
habe ich ihn gelesen und nicht verstanden, als Germanistikstudent
auch nicht. Ich wusste natürlich, dass Faust II ein großartiges
Werk ist. Das wissen ja alle. Nur, was da drin steht, ist einem
nicht helle geworden. Dann habe ich es als junger Theaterdirektor
wieder versucht und wieder nichts verstanden. Und plötzlich, mit
einem gewissen Alter, konnte ich es lesen", so Peter Stein
in einer Stellungnahme für die Presse.
Ein dritter Punkt in diesem Vorspiel, neben den von vielen als
obszön teuer empfundenen Produktionskosten und der Mesalliance
mit der EXPO, ist ästhetischer Natur. Genauer gesagt, es ist die
Regieauffassung, die Stein heute „mit einem gewissen Alter"
vertritt. Stein, der das Regietheater deutscher Spielart
praktisch mit erfand, der viele Klassiker in überaus modernen
Interpretationen für das Theater neu erschlossen hat, hält
heute vom Regietheater nichts mehr. Es ist die werktreue, sprach-
und spielgenaue Einstudierung eines Stücks, die ihm heute heilig
ist - und nicht die bewegte Lesart, die auf Kopf und Herz des
Publikums zielt. Nun gibt es im deutschen Theater nichts Schöneres
als die Pluralität der Stile, und jemand, der mit Frank Castorf
und Heiner Müller aufgewachsen ist, sollte trotzdem auch Fühler
für das Theater des späten Peter Stein haben, das in seiner
Verwandtschaft mit Regisseuren wie Peter Zadek und Luc Bondy auch
das „Menschentheater" genannt worden ist, in dem vor
allem die Klassiker der vorletzten Jahrhundertwende so gut zur
Geltung kommen. Eine unangenehme Seite Peter Steins ist jedoch,
dass er seine Auffassung mit missionarischem Eifer kundtut und
keinen Zweifel daran lassen will, dass alles andere bloß
Scharlatanerie ist. Zwischen den Zeilen hört man, dass er damit
das junge deutsche Theater, seine Regisseure, Autoren und
Schauspieler meint, die im übrigen viel mit Steins Anfängen in
den sechziger Jahren gemein haben. Damals war auch der junge
Bruno Ganz schon einer seiner Protagonisten, und erst als Ganz,
wieder genesen, nach dem Umzug des Faust-Ensembles von Hannover
nach Berlin im November die Hauptrolle übernahm, kam das Projekt
„Faust" zumindest beim Publikum richtig an. Da hatte
ein Großteil der tagesaktuellen Meinungskritik allerdings schon
abgeschaltet, und zu einer Revision der harschen Aburteilung von
Hannover ist kaum jemand bereit. Nach drei Monaten Berlin steht
Stein als souveräner Theaterleiter da, der mitteilt, sein
Ensemble aus insgesamt 35, überwiegend jüngeren Schauspielern
sei nun so warm gespielt, dass man noch einige interessante
Nebenproduktionen erwarten könne. Insofern hat Stein sein Ziel
erreicht, sein Projekt sogar über das Ziel hinaus getrieben.
Aber was war das Ziel?
Schon beim Eintritt in die Riesenhalle der „Arena", früher
ein Industriebetrieb direkt an der Spree, kann man das Prinzip
erkennen, nach dem die Aufführung räumlich organisiert ist.
Eine große Tribüne vor einer Hauptbühne, die wie eine reguläre
Portalbühne wirkt, und etwas weiter weg eine variable, während
der Aufführung mehr als ein Dutzend Mal völlig neu arrangierte
Spielfläche. Die beiden Ausstatter Ferdinand Wögerbauer (für
„Faust I") und Stefan Mayer („Faust II")
hatten für das Gesamtkonzept vor allem Raumwechsel zu ermöglichen,
die über die Dauer der Zeit einen abwechslungsreichen Gang durch
das Stück bieten. In der Grobstruktur ist der „Faust"
reine Bewegungsdramaturgie: vom Prolog im Himmel bis zu Fausts
Aufstieg in himmlische Sphären am Ende bewegt sich das Stück
mehr oder weniger rasant durch Orte und Zeiten, die auf einer
einzelnen Bühne hintereinander kaum darstellbar sind. So bewegt
sich also der Zuschauer selbst zwischen zwei Bühnen, von denen
die eine als Raumbühne immer wieder so wandelbar ist, dass man
den Eindruck hat, einen völlig neuen Raum zu betreten - zwischen
Mittelalter und Antike, vom gotischen Zimmer in deutschen Landen
bis zu fernen griechischen Gestaden sind es immer nur ein paar
Schritte, während da, wo gerade nicht gespielt wird, die Bühnenwelt
sich schon wieder im Umbau befindet. Die beiden Bühnen- und
Raumbildner sind stets von Goethes Regieanweisungen ausgegangen,
so wie sich Steins Inszenierung überhaupt als eine
buchstabengetreue Aufführung im Ganzen zeigt und das auch offen
bekundet.
Mustergültig ist die mehrfache Hinführung inszeniert: Die
Zueignung „Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten"
wird vor schwarzem Vorhang von einem jeweils eingeladenen
Ehrengast gesprochen: Will Quadflieg, Walter Schmidinger und
andere Schauspielheroen stehen emblematisch dafür ein, dass hier
der Text in erster Linie zu Gehör gebracht werden soll. Der
zweite Rahmen, das „Vorspiel auf dem Theater", in
rollentypischen Kostümen auf einer schlichten Bretterbühne,
weist schon darauf hin, dass sich das Spiel vor allem an das
gesprochene Wort halten wird. Und der dritte Rahmen schließlich,
der als „Prolog im Himmel" schon Teil der Handlung ist,
schließt die ästhetische Setzung Steins ab: das Spiel nimmt
Goethe beim Wort und wird seinen Text weder szenisch
interpretieren oder gar aktualisieren noch in großartige
Illusionen hüllen, sondern einfach aufführen. Oben „im
Himmel" gibt es also Theaterwolken an Stangen, darin der
Herr mit seinen Erzengeln und Mephisto spricht.
Es folgt Bruno Ganz, auf der großen Bühne in seinem nächtlichen
Studierzimmer die magischen Kräfte versuchend. Der Sprechduktus
ist klassisch, Ausstattung und Kostüm (Moidele Bickel) den gängigsten
Vorstellungen entsprechend, also insgesamt theaterhistoristisch.
Für den Erdgeist aber, wie auch mitunter für andere nicht reale
Erscheinungen, mag freilich auch Peter Stein auf Mittel zurückgreifen,
die Goethe sich noch nicht einmal vorstellen konnte. So sieht man
den Erdgeist als großformatiges Videobild mit dem Gesicht Hans
Michael Rehbergs. Das ist gut gemacht, aber wahrer Theaterzauber
ist es nicht. Geht es darum? Genügt es, den Faust so zur Aufführung
zu bringen, wie er geschrieben wurde?
Aufs Ganze gesehen lässt sich die Frage entschieden zwiespältig
beantworten. Für den ersten Teil der Tragödie ist es annehmbar,
ja die völlige Abwesenheit von Interpretation sogar spannend.
Seit den sechziger Jahren ist die in der deutschen Kultur zuvor
stets überhöhte und mythisierte Faust-Figur radikalen
Umdeutungen unterworfen worden. Diese Umdeutungen waren zumeist
mit dem Zeitgeist einhergehende kritische Reaktionen auf den
ideologischen Gebrauch des Faust-Themas und daher selbst
ideologischer Natur. Ob irrender Intellektueller oder
Schwundstufe eines deutschen Mythos, oft genug ging es um die
Verwerfung der Figur, ob nun das Streben oder das Irren
hervorgehoben wurde. Peter Steins Bruno Ganz legt den Faust an,
als hätte es diese neuere Theatergeschichte nicht gegeben und
als sollte dieser Teil der kritischen Rezeption endlich einmal außer
Acht bleiben. Das ist gelungen und führt zu einer Art Naivität
zurück, die zumindest dem ersten Teil gut bekommt, wenn er dann
mit den beiden abwechselnd auftretenden Mephistos sich auch
witzig entspinnt und mit der Gretchen-Geschichte seine erzählerische
Kontur erhält. Für den zweiten Teil, der keinen solchen
kulturellen Resonanzboden hat und über dessen Sinnzusammenhang
allein die Philologen sich in Einzelfragen zerstritten haben,
empfiehlt sich das Anti-Regietheater weniger. Hier braucht es
nicht nur Angebote, sondern mehr denn je auch szenisch deutende
Hilfe für den Zuschauer. Selbst ein Goethe-Experte dürfte sich
in den vielfach verschlüsselten Szenen des zweiten Teils kaum
zurechtfinden, geschweige denn den großen Zusammenhang
nachbilden können. Wenn der ideale Leser für Joyce einer war,
der Tag und Nacht so lange und langsam liest, wie der Autor
„Finnegan’s Wake" geschrieben hat, dann wäre
Steins Publikum nur dann auf der Höhe dieser Inszenierung, wenn
es mit ihm all die Jahre seiner „Faust"-Arbeit
zugebracht hätte. Und vielleicht wäre auch das für den zweiten
Teil noch zu wenig - und zugleich zuviel, denn dieser „Faust
II" bleibt auch in seiner ersten vollständigen Aufführung
abseits des gesprochenen Worts unerschlossen. Man möge sich
Steins Zitat nochmal vor Augen halten: „Und plötzlich, mit
einem gewissen Alter, konnte ich es LESEN."
Theatral geht man durch ebenso viele Qualitäten wie Räume. Die
Mephistos - Robert Hunger-Bühler etwas anregend zynischer als
der weichere Johann Adam Oest - bringen den Gang durch das Stück
geistreich auf Tempo und sind schon bald die eigentlichen Akteure.
Vor allem Hunger-Bühler weiß, wie aus dem für heutige Ohren
strengen, aber für ihn nie anstrengenden Textbau der Verse die
deftige Figur, der große Witz und ein bisschen Volkstheater
herauszuholen ist. Er ist der eigentliche Begleiter des Publikums
auf dieser weiten Reise. Der junge Faust des ersten Teils,
Christian Nickel im weißen Anzug und ebenso makelloser
Problemfreiheit, ist zwar der konzipierte Gegensatz zum gebrochen
wirkenden Ganz-Faust vom Anfang und vom Ende, an ihm kann man
aber gerade das aussetzen, was Stein am Theater der Jungen heute
bemängelt: Tiefe der Figur und Höhe der Sprechkultur. Gerade in
seinen Szenen sind es eher das visuell Atmosphärische der Szene
oder die Gegenspieler, auf die man sich als Zuschauer einläßt.
Das Gretchen Dorothee Hartingers ist unter den überwiegend jüngeren
Spielern des Faust-Ensembles die Entdeckung. Mit ihr erlaubt sich
Stein eine der wenigen Abweichungen von der szenischen Konvention,
wenn sie in der Kerkerszene aus einem winzigen Käfig kriecht.
Das ist einer der wirklich beklemmenden Momente, wo durch eine
kleine Überschreitung große Energie frei wird. Für die Helena
der kühlen Corinna Kirchhoff, heute heimatloser Star der alten
Schaubühne, sind eher opernhaft kalkulierte Auftritte geplant,
die der ja auch erotischen Suche des Faust im zweiten Teil zu
wenig geben. Erst am Schluss, wenn sich der Himmel des Anfangs zu
einer Spirale heruntersenkt und tatsächlich mit der
Riesenmaschinerie dieser Produktion noch einmal ein bisschen
gezaubert wird, erreicht die Inszenierung wieder eine
Geschlossenheit, die ihr zuvor mit dem Beharren auf Goethes Text
über lange Strecken abhanden gekommen war. Zwar steht man als
Zuschauer in der kaiserlichen Pfalz oder bildet Spalier für
einen endlosen Karneval der Ursprünge des Theaters und der
Zivilisation an sich, man hat im Rittersaal bei Wein und Käse
mit zu Tisch gesessen, und auch der Homunkulus war als Kind in
einer Glasglocke ebenso überzeugend eingängig wie noch einmal
eine eindrucksvolle, mit etwa 25 Bildschirmen hergestellte
Darstellung kosmischer Schöpfung aus Feuer und Wasser in den
Felsbuchten des Ägäischen Meeres. Doch hier, in diesem zweiten
Teil, der einen ganzen Sonntag von morgens bis beinahe
mitternachts ausmacht, wird der Zuschauer nur noch als „spectator"
eines Spektakels gebraucht. Den gleichen Weg geht auch die Musik
von Arturo Annecchino. Ist sie im ersten Teil noch ein synästhetischer
Zusammenhang, vom sphärischen Flimmern bis zur klar
ausgearbeiteten Komposition, wird sie da, wo sie wirklich
gebraucht wird, akustisches Hollywood zum Verkleben des ganz
wesentlich Unzusammenhängenden. So hart es klingt, die
intellektuelle Substanz, die Goethe seiner Nachwelt wohlweislich
in einem Paket versiegelt hinterlassen hat, kann sich auch in
einer textgetreuen Aufführung nicht erschließen. Zwar wird der
Text überwiegend von dem in Ergebenheit trainierten Ensemble
richtig gut gesprochen und also zu Gehör gebracht, aber das ist
fast nur Leistung ohne echte Kunst und hat die Größe eines
Museumsbesuchs, der einem Vergangenes noch einmal bestens präsentiert,
die Gegenwart allerdings nicht heran lässt. Vergeblich ist es
dennoch nicht, was Peter Stein hier unternommen hat. In dieser
wohl einmaligen Konstellation von großem Geld und unbedingten
Bemühen wird es das nicht wieder geben. „Faust II"
bleibt, und dafür war uns die Theaterwelt wenigstens einen
Beweis schuldig, als inkommensurable Weltalltragödie ein Lesestück,
für dessen entlegenste Passagen jetzt ein paar Bilder vorhanden
sind. Gott und Peter Stein sei’s gedankt, wir gehen wieder
auf andere Reisen. |
© copyright ateatro 2001, 2010
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